Als Erzieherin oder Erzieher begleitest du die Entwicklung deiner Kita-Kinder. Die Beobachtungen und Dokumentation der Lernprozesse, die die Kleinen im Kindergartenalltag durchmachen, werden für die obligatorische Bildungsdokumentation im Beobachtungsbogen festgehalten oder in Form von Fotos und Zeichnungen gesammelt und zu einem Portfolio zusammengestellt. Ergänzend dazu lässt sich ein kreatives Beobachtungsverfahren nutzen: die Lerngeschichten –  eine Methode, die zwar Zeit erfordert, deine pädagogische Arbeit aber sehr bereichern kann.

Erfahre mehr über die Entstehung dieses Beobachtungsverfahrens, dessen Ziele und nimm dir wertvolle Tipps für deine eigenen Lerngeschichten mit!

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Bildungsprozesse beobachten und dokumentieren

Über die Entstehung von Lerngeschichten

Die Idee der Lerngeschichten stammt aus Neuseeland und geht auf die Forschungen der Erziehungswissenschaftlerin Margaret Carr und ihre “Learning Stories” zurück. In den 1990er Jahren entwickelte sie diese pädagogische Methode, um die Lernprozesse von Kindern in Kindertageseinrichtungen zu beobachten und in Form einer Erzählung als wertfreie Beobachtungen zu dokumentieren.

Ausgehend von der Idee, dass Kinder aktiv an ihrer eigenen Bildung teilhaben sollen, begann Carr, Kinder in Alltagssituationen und Beschäftigungen zu beobachten, um daraus pädagogische Erkenntnisse und Einschätzungen abzuleiten. Dabei legte sie besonderen Wert darauf, in ihren Beobachtungen nicht nur die äußeren Handlungen der Kinder festzuhalten, sondern auch deren Gefühle, Gedanken und Interessen. Der narrative Zugang zu einer Beobachtung im Kita-Alltag berücksichtigt das Kind im Kontext seiner Umgebung und seiner Beziehungen und ermöglicht dadurch einen ganzheitlichen Zugang.

Lerndispositionen nach Margaret Carr

Die innere Motivation und Fähigkeiten eines Kindes, die seine Bereitschaft zum Lernen ausdrücken, werden von Carr als Lerndispositionen bezeichnet. Unterschieden werden folgende fünf Lerndispositionen:

  • interessiert sein
  • engagiert sein
  • standhalten bei Herausforderungen und Schwierigkeiten
  • sich ausdrücken und mitteilen
  • an einer Lerngemeinschaft mitwirken und Verantwortung übernehmen

Für deine Lerngeschichte kannst du diese Lerndispositionen als Orientierung nutzen, um die Stärken und Fähigkeiten deines lernenden Schützlings in den Blick zu nehmen: es geht bei Lerngeschichten nämlich nicht darum, Defizite auszumachen, sondern die individuelle Entwicklung des Kindes wertfrei zu betrachten. Lerndispositionen sind nicht an konkrete Situationen oder Handlungen gebunden. Es geht dabei auch nicht darum, herauszufinden, ob und wann das Kind bestimmte Lerndispositionen zeigt, aber sie helfen dabei, den Entwicklungsstand in Stärken und Kompetenzen einzuordnen.

Ziele von Lerngeschichten

Eine aufgeschriebene Lerngeschichte kann dir dabei helfen, den Lernprozess des Kindes besser zu verstehen und ermöglicht dir eine Auseinandersetzung mit den individuellen Bedürfnissen und Interessen des Kindes. Für Kinder bietet die Geschichte die Möglichkeit, sich aus der Perspektive eines anderen zu erfahren, um darüber zu erkennen, dass ihre Handlungen und Entscheidungen bedeutsam sind. Das stärkt ihr Selbstwertgefühl und ermutigt sie in ihrer Selbstwirksamkeit.

Weitere Ziele von Lerngeschichten im Überblick:

  • Dokumentation von Lernprozessen: Lerngeschichten dienen dazu, die Fortschritte und Entwicklungen der Kinder möglichst umfassend zu dokumentieren und zu verstehen.
  • Lernprozesse unterstützen: Auf dieser Grundlage kannst du als Erzieherin oder Erzieher gezielte Fördermaßnahmen entwickeln, die auf die individuellen Bedürfnisse und Interessen des Kindes abgestimmt sind.
  • Elternarbeit und Kommunikation fördern: Auch für Eltern bieten deine Beobachtungen einen guten Einblick in den Entwicklungsstand ihres Kindes. Somit eignen sich Lerngeschichten auch gut für die Elternarbeit.
  • Partizipation und Mitbestimmung etablieren: Das Kind steht im Mittelpunkt der Lerngeschichte. Es fühlt sich zugehörig, anerkannt und bekommt die Möglichkeit, sich mit dir über das Geschriebene auszutauschen, was der Partizipation in der Kita entgegenkommt.

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Beispiel für eine Lerngeschichte im Kindergarten

Folgende Anforderungen solltest du beim Verfassen der Geschichte im Blick behalten:

  • die Lerngeschichte wird in Briefform verfasst
  • die Sprache soll kindgerecht sein
  • wende dich in der direkten Anrede an das Kind
  • achte auf eine klare Struktur
  • betone die positiven Aspekte und vermeide kritische Formulierungen
  • beobachte wertfrei
  • berücksichtige den individuellen Entwicklungsstand des Kindes

Liebe Emilie,

an diesem Morgen hast du beschlossen, ein ganz besonderes Bastelprojekt zu starten. Du bist zur Bastelkiste gegangen und hast bunte Papierstreifen, Perlen und Glitzersteine herausgeholt. Deine Augen haben vor Freude geleuchtet, als du begonnen hast, die Papierstreifen und die Dinge zu einem Regenbogen zu formen. 

Du hast überlegt und verschiedene Farben sorgfältig ausgewählt, um sie nach den Regenbogenfarben zu sortieren. Weißt du noch, welche du gewählt hast? Ich war sehr froh, dich so konzentriert arbeiten zu sehen, denn du hast genau gewusst, was du erschaffen möchtest und hast dich fleißig ans Werk gemacht.

“Schaut mal,” hast du gesagt und den fertigen Regenbogen ganz stolz den anderen Kindern gezeigt. “Das ist ein Regenbogen und er hat viele bunte Farben!”
Alle waren begeistert! Dann hast du angefangen, jedem Kind zu erklären, wie du den Regenbogen gemacht hast und wie ein Regenbogen eigentlich entsteht.

Emilie, du hast nicht nur ein beeindruckendes Kunstwerk geschaffen, sondern auch die anderen Kinder dazu inspiriert, über Farben in der Natur nachzudenken. Du hast uns allen gezeigt, wie viel Spaß das Lernen macht!

Danke, dass du deine Ideen mit uns geteilt hast und uns daran erinnerst, wie aufregend es sein kann, die Welt mit offenen Augen zu sehen.

Deine Nina

Tipps für das Verfassen von Lerngeschichten

Das obere Beispiel dient der Inspiration für deine eigene Lerngeschichte, die sich natürlich ganz individuell nach deinem Schützling ausrichtet. Doch nicht nur der Mangel an Zeit, auch eine Schreibblockade kann möglicherweise dazu führen, dass das Verfassen von Lerngeschichten gerade am Anfang eine Herausforderung darstellt. Wie so oft gilt: Übung macht den Meister und mit unseren Tipps möchten wir dir die Angst vor dem leeren Blatt nehmen.

  • Sammle einzelne Beobachtungen: Dies kann dir helfen, einen Ausgangspunkt für deine Geschichte zu finden.
  • Notiere Stichpunkte: Anstatt sofort einen zusammenhängenden Text zu verfassen, notiere Stichpunkte oder Schlüsselwörter zu Beobachtungen und Ereignissen. Diese Stichpunkte können als Leitfaden dienen, um deine Gedanken zu strukturieren.
  • Schreibe in Etappen: Teile das Schreiben in kleinere Etappen auf. Beginne beispielsweise mit der Beschreibung der Situation, dann der Handlungen des Kindes und schließlich der Reflexion und Bedeutung. Dies erleichtert den Schreibprozess.
  • Hol dir Feedback ein: Teile deine Beobachtungen mit dem Kita-Team. Das Feedback anderer Erzieherinnen und Erzieher kann dich dabei unterstützen, deine Perspektive und Überlegungen zu reflektieren.
  • Nobody is perfect: Denke daran, dass deine erste Version nicht perfekt sein muss. Schreiben ist ein Prozess, und du kannst später immer noch überarbeiten und verfeinern.

Schreibblockaden sind normal. Habe Geduld mit dir, setz dich nicht unter Druck und gib dir die Zeit, die du brauchst!

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Weiterbildungsmöglichkeiten für Erzieher

Du siehst, Lerngeschichten sind eine Methode für Beobachtungen, mit der sich Lernprozesse von Kindern in der Kita oder in der Krippe ganzheitlich dokumentieren und unterstützen lassen. Sie fördern die enge Zusammenarbeit zwischen Erzieherinnen und Erzieher, Eltern und Kindern und tragen dazu bei, dass jedes Kind in seiner Entwicklung individuell begleitet wird. Daneben gibt es natürlich noch andere Möglichkeiten, Bildungsprozesse in der Kita kompetent zu beobachten und zu dokumentieren. Unsere Expertinnen und Experten von der Kindergartenakademie zeigen dir, wie du diese im pädagogischen Alltag einbringen kannst.

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